Deutsche Edel-Insel Sylt – bei der Fahrrad-Infrastruktur weniger edel…
Sylt (rund 14.000 Einwohner) liegt in der Fremdenverkehrsstatistik unter den deutschen Inseln mit rund sieben Millionen Gästeübernachtungen im Jahr nach Rügen und Usedom an dritter Stelle.
Bei vielen Sylt-Urlaubern hat das Radfahren einen hohen Stellenwert und wird auch ausführlich auf der offiziellen Sylt-Homepage beworben. Viele Übernachtungsgäste bringen ihre eigenen Fahrräder mit oder mieten sie sich bei einem der zahlreichen Verleiher. Auch E-Bikes gewinnen im Urlauberverhalten immer noch weiter an Bedeutung. Für einen ungetrübten Urlaubsspaß auf zwei Rädern sind aber nicht nur gute fahrradgeeignete Wege, sondern auch andere Faktoren wie zum Beispiel ergonomische und sichere Abstellanlagen (nicht nur in kommunaler Verantwortung, sondern auch an den Unterkünften!) und andere radtouristische Infrastruktur entscheidend (siehe auch übergeordnete Seite).
Damit verdienen Fahrrad und Fahrradinfrastruktur in der Fremdenverkehrspolitik von Sylt eine Beachtung, die ihnen augenscheinlich heute noch nicht in ausreichendem Maß beigemessen werden: Beim Fahrradklima-Test des ADFC wurde die Insel Sylt bislang dreimal bewertet und kam nach Schulnoten auf Bewertungen von 4,1 (Ergebnis 2016), 4,2 (Ergebnis 2018) und zuletzt 4,0 (Ergebnis 2020). Diese Ergebnisse stehen in deutlichem Widerspruch zur Erwartungshaltung der Sylt-Urlauber und zu den Ansprüchen der vielen Pendler, die insbesondere in der Hauptsaison täglich vom Festland auf die Insel pendeln (ca. 4.500) und dabei gerne auch mit dem Fahrrad von den Inselbahnhöfen zu ihren Arbeitsplätzen gelangen würden. Die nachfolgenden Betrachtungen belegen diese Ergebnisse mit konkreten Beispielen (Stand Oktober 2019):
Wegenetz für den Radverkehr
der Eindruck in der Nebensaison täuscht... |
Sylt bietet heute rund 200 Kilometer Radwege, die allerdings fast ausnahmslos für einen Mischverkehr mit Fußgängern (innerorts teilweise auch mit dem Autoverkehr) ausgewiesen sind. Im Sommerhalbjahr sind viele Streckenabschnitte allein schon durch den immensen Radverkehr hoffnungslos überlastet. Wenn insbesondere im Bereich der Ortschaften noch ein nennenswerter Fußgängerverkehr hinzukommt, reichen die heutigen Wegebreiten für ein entspanntes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer bei weitem nicht aus. Leider kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen und auch mehr oder minder schweren Unfällen. Vorschlag zur Abhilfe: Zu einem Ausbau und einer großzügigen Verbreiterung zumindest der hochfrequentierten Streckenabschnitte gibt es keine Alternative. Als Vorbild kann die Ausführung von Fuß- und Radwegen in niederländischen Naturschutzgebieten und Nationalparks (z. B. LF4 durch den „Veluwezoom“) dienen. |
Wegenetz innerorts
Westerland, Süderstraße |
In den Ortschaften gibt es kaum ausgewiesene Radwege oder Schutzstreifen. In den Anliegerstraßen und selbst in Tempo-30-Zonen werden Fahrradfahrer nicht selten missachtet oder bedrängt, z. B. von gehetzten Fahrern von Service- und Lieferfahrzeugen oder von finanzkräftigen Automobilisten, die mit ihrer Luxuskarosse auch gleich erweiterte Vorfahrtsrechte zugekauft haben. Deshalb ist vielfach zu beobachten, dass Bürgersteige zum Radfahren zweckentfremdet werden – ein teuer zu Lasten der Fußgänger erkaufter vermeintlicher Sicherheitsgewinn. Vorschlag zur Abhilfe: Dem Radverkehr muss endlich der erforderliche Raum gegeben werden, durch eigene Wege, Schutzstreifen und durch das bislang auf der Insel überhaupt nicht genutzte Instrument von Fahrradstraßen. Andererseits darf rüpelhaftes Verhalten von Verkehrsteilnehmern (aller Verkehrsarten) nicht länger stillschweigend geduldet werden. Sehr wirkungsvoll in dieser Richtung wäre eine Fahrradstaffel der Polizei, die zumindest in den Gemeinden der Inselmitte häufig Präsenz zeigen sollte. |
kommunale Fahrradabstellanlagen
In Westerland werden heute im öffentlichen Raum überwiegend Anlehnbügel in H-Form installiert, wobei leider aber auch immer Ausgestaltungsfehler (unzureichende Gassenbreiten, abschüssige Untergründe etc.) gemacht werden. An einigen Strandübergängen gibt es auch ∩-förmige Anlehnbügel. Richtig gute Standsicherheit – insbesondere bei heftigem Wind – bieten alle diese Modelle nicht, erreichen daher nach dem Bewertungsschema für Bestandsanlagen auch nur maximal 14 von 20 Tauglichkeitspunkten und sind gerade für einen Urlaubsort keine ideale Wahl, siehe "Pro und Kontra Anlehnbügel".
Noch schlechtere Eigenschaften weisen die in der Strandstraße installierten Kombinationen aus Felgenklemmern und „Haarnadeln“ zum Anschließen auf. Die absoluten Tauglichkeits-Schlusslichter sind an der Ecke Bismarckstraße/Bötticherstraße und am Strandübergang 47 zu „bewundern“.
In Hörnum sind insbesondere auf dem Parkplatz vor der Uferpromenade Anlehnbügel installiert, für die dieselben Nachteile gelten wie bei den Westerländer Anlehnbügeln. Zu beanstanden ist hier zusätzlich der viel zu geringe Bügelabstand von 50 cm für die einzelnen Fahrräder (FGSV: mindestens 80 cm). Außerdem sind hier PKW- und Fahrradstellplätze nicht räumlich entkoppelt, so dass gegenseitige Beschädigungen z. B. beim Ein- und Ausparken vorprogrammiert sind. Am Hörnumer Hafen, wo das Fahrrad ein idealer Zubringer zu den Ausflugsschiffen wäre, sind leider nur völlig ungeeignete und obendrein verbogene Felgenklemmer zu finden.
Vorschlag zur Abhilfe: Für kommunale Fahrradabstellanlagen sind Reihenparker aus dem Spektrum der ADFC-empfohlenen bzw. DIN 79008-konformen Reihenparker bezüglich Kosten, Flächeneffizienz und Nutzerfreundlichkeit die weitaus bessere Wahl.
Fahrradparken bei Unterkunftsbetrieben und Wohnanlagen
Sehr vereinzelt sind an Ferienunterkünften jetzt schon höherwertige Abstellanlagen zu finden - sehr ärgerlich, wenn deren Nutzwert durch Ausgestaltungsfehler wie unzureichende Gassenbreiten wieder gemindert wird. Die überwältigende Mehrzahl der touristischen Betriebe und Wohnanlagen verfügt aber weiterhin über gar keine oder sehr primitive Abstellanlagen (Felgenklemmer).
Vorschlag zur Abhilfe: Auch für Unterkunftsbetriebe und Wohnanlagen sind Reihenparker aus dem Spektrum der ADFC-empfohlenen bzw. DIN 79008-konformen Reihenparker bezüglich Kosten, Flächeneffizienz und Nutzerfreundlichkeit die weitaus bessere Wahl.
Fahrradparken bei sonstigen touristischen Betrieben
Die meisten touristisch relevanten Betriebe (Einkaufsstätten, gastronomische Betriebe, touristische POIs) stellen ihrer Fahrradkundschaft weiterhin keine oder nur sehr primitive Abstellanlagen (Felgenklemmer) zur Verfügung. Ein Beispiel dafür ist das berühmte Kampener Café „Kupferkanne“, das seinen vielen Fahrradgästen nur eine mit Findlingen abgeteilte Kiesfläche ohne jede Fahrradhalterung zur Verfügung stellt – was hier bei einem Windstoß mit den abgestellten Fahrrädern passiert, bedarf keines langen Rätselratens.
Vorschlag zur Abhilfe: Auch für sonstige touristisch relevante Betriebe sind Reihenparker aus dem Spektrum der ADFC-empfohlenen bzw. DIN 79008-konformen Reihenparker bezüglich Kosten, Flächeneffizienz und Nutzerfreundlichkeit die beste Lösung.
herrenlose Fahrräder
Ganz trübe sieht es auf Sylt, insbesondere in Westerland bei der Umgangsweise mit herrenlosen Fahrrädern aus. Offenbar werden solche Fahrräder nur in sehr großen Zeitintervallen identifiziert, ohne Vorankündigung entfernt und 3 Monate im Bauhof aufbewahrt.
Vorschlag zur Abhilfe: Wünschenswert wären sehr viel kürzere Überprüfungsintervalle; rechtlich sauberer dürfte eine gut sichtbare Kennzeichnung mit Banderolen und Entfernung nach angemessener Frist sein. Siehe auch Herrenlose Fahrräder - ein Leitfaden zur Entsorgung.
fehlende Abstellanlagen
Westerland/Fußgängerzone |
Ganz offensichtlich gibt es auf Sylt verschiedene Stellen mit hoher Nachfrage an Fahrradparkmöglichkeiten, wo bislang gar keine oder viel zu wenige Fahrradparkmöglichkeiten angeboten werden. Das gilt u. a. für die Peripherie der Westerländer Fußgängerzone und ganz besonders für den Westerländer Bahnhof. Vorschläge zur Abhilfe: Als Abhilfe empfiehlt sich eine systematische Bedarfsermittlung, wie sie zum Beispiel beschrieben ist in den "Hinweisen zum Fahrradparken" der Forschungsgemeinschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Am Westerländer Bahnhof lässt sich der offensichtliche Fahrradpark-Notstand nicht durch "Kleckern", sondern nur durch "Klotzen" aus der Welt schaffen. Ein mutiger Schritt wäre hier die Installation einer bewirtschafteten Radstation. Damit würde die begrenzt zur Verfügung stehende Fläche optimal genutzt und gleichzeitig das Problem der herrenlosen Fahrräder weitgehend gelöst. |
Lademöglichkeiten für E-Bike-Akkus
Öffentliche Lademöglichkeiten für E-Bike-Akkus werden heute offensichtlich auf Sylt nicht angeboten, jedenfalls sind per Internetsuche und an naheliegenden Örtlichkeiten vor Ort keine solchen Angebote zu finden. Angesichts der Entfernungen für Fahrradtouren auf Sylt ist das aber auch kein Manko. Sehr bedenklich ist es aber, dass auch in Beherbergungsbetrieben und anderen Ferienunterkünften nahezu ausnahmslos keine sicheren Lademöglichkeiten angeboten werden und auch bei den Betreibern kein entsprechendes Wissen vorhanden ist. |
Fazit
Zum heutigen Stand kann sich Sylt nicht mit besonderer Fahrradfreundlichkeit rühmen und verdient die bisherigen Benotungen durch den ADFC-Fahrradklima-Test zu Recht (Ergebnis 2016: 4,1; Ergebnis 2018: 4,2; Ergebnis 2020: 4,0). Wahrscheinlich haben sich die Sylter Verantwortlichen und Planer bislang kaum die "Fahrradbrille" aufgesetzt. Für eine effiziente Verbesserung wäre die Schaffung einer Stelle eines hauptamtlichen Fahrradbeauftragten sehr hilfreich, was bei der tatsächlichen Bedeutung des Radverkehrs auf Sylt durchaus angemessen wäre. Ein weiterer starker Katalysator wäre sicherlich ein Beitritt zum Verein RAD.SH e. V. (ist inzwischen geschehen, mittlerweile sind beigetreten die Gemeinde Sylt (Dez. 2019) sowie die Inselorte List (März 2020), Wenningstedt-Braderup (Mai 2020) und Hörnum (Mai 2020)).
Die notwendigen Investitionen in Radverkehrsinfrastruktur wären finanziell durchaus überschaubar, wären vermutlich bezuschussungsfähig (EU-Fördermittel für den ländlichen Raum) und und würden sich außerdem auch auf viele Schultern verteilen (neben der Gemeinde insbesondere Unterkunftsbetriebe aller Art und gastronomische Betriebe).
Sylt als "Fahrradfreundliche Urlaubsinsel" wäre ein lohnenswertes Ziel, denn Sicherheit und Zufriedenheit der Fahrradurlauber kann für eine Urlaubsdestination keine Nebensache sein!